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Rolf Abrahamsohn
Nur einer kam wieder nach Hause
Würden Sie dorthin zurückkehren, wo man eigentlich Hilfe finden sollte, jedoch Leid und Schmerz erfahren musste?

Der 94-jährige Rolf Abrahamsohn ist einer der letzten Überlebenden des Nationalsozialismus und zum dritten Mal auf Einladung von Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen zum Polizeipräsidium Recklinghausen zurückgekehrt. Nun erzählte er 40 jungen Polizeikommissaren auch in diesem Jahr seine Geschichte.  

 

Die Verhaftung von Rolf Abrahamsohn, seinen Eltern und den drei Brüdern geschieht aus einem Grund: Sie sind Juden. Nach dem das elterliche Geschäft in Marl während der Reichspogromnacht am 9. November 1938 durch Brandstiftung zerstört wurde, verhaften Polizisten des PP Recklinghausen ihn und seine Familie.  

 

Der jüngste Bruder stirbt 1940 an Diphterie, der Vater und der ältere Bruder fliehen alleine nach Belgien, weil das Geld nur für beide reichte. Zeit, Geld für die anderen Familienmitglieder aufzubringen, bleibt nicht. Auch sicher sind sie in dem Land nicht mehr. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Belgien schließen Soldaten die Grenze. Von Belgien werden der Vater und der Bruder nach Auschwitz deportiert; sie überleben nicht.

 

In den Gesichtern der Kolleginnen und Kollegen spiegelt sich Fassungslosigkeit. Es ist still: kein Räuspern, kein Husten, kein Tuscheln. Was Rolf Abrahamsohn ihnen erzählt, bewegt.

 

Ihn und seine Mutter deportieren die Nazis zunächst in das Konzentrationslager nach Riga. Den letzten Blick auf seine Mutter hat Rolf Abrahamsohn, als KZ-Wärter des Lagers Kaiserwald sie zur Erschießung wegbringen. Er überlebt, auf 39 Kilo abgemagert, sieben Konzentrationslager und kehrt nach Marl zurück, wo er das Geschäft seiner Eltern wieder aufbaut. Das Geschehene und Erlebte hat Rolf Abrahamsohn bis heute nicht verarbeitet.´Dass er erneut die Kraft gefunden hat, vor den jungen Kolleginnen und Kollegen zu sprechen, beeindruckt Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen: „Die Polizei hat im Terrorsystem der Nationalsozialisten eine schreckliche Rolle gespielt. „Polizeibatallione“ waren an vielen Gräueltaten beteiligt und für die Ermordung von tausenden jüdischen Opfern verantwortlich. Auch die Polizei Recklinghausen hat da keine Ausnahme gemacht.“

 

Sie ist dankbar für den dritten Besuch bei der Polizei, die am Leid der Familie Abrahamsohn beteiligt war: „Niemandem von uns ist es möglich, sich in Ihre Gefühlswelt hineinzuversetzen. Sie jedoch bei uns zu wissen, ist ein großes Geschenk, das uns mahnt, uns unserer Verantwortung bewusst zu sein. Danke!“

 

An die Kolleginnen und Kollegen gerichtet, sagt Friederike Zurhausen: „Sie befinden sich fortwährend im Spannungsfeld politischer Ereignisse. Sie sind Repräsentanten des rechtsstaatlichen Handelns. Ihnen obliegt das Gewaltmonopol und damit eine immense Verantwortung, die Sie jeden Tag leben und vorleben müssen.“ 

 

Mit Blick auf vereinzelte ans Tageslicht gekommene Fälle von rechtsradikalen Tendenzen, wie es jüngst in Frankfurt am Main der Fall war, macht Friederike Zurhausen deutlich: „Mögliche aufkeimende rechtsradikale Tendenzen früh zu erkennen und zu bekämpfen gilt für jeden Einzelnen in der Polizei. Deshalb ist es wichtig, sich mit seiner unrühmlichen Vergangenheit auseinanderzusetzen und einen kritischen und differenzierten Blick zu bewahren.“

In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110