„Wie bekommen wir unsere Botschaften besser in die Köpfe ausgewachsener Motorradfahrer?“, diese Frage stand am Ende der Unfallanalyse, die das Polizeipräsidium Recklinghausen im Bereich der motorisierten Zweiradfahrer Anfang 2016 durchgeführt hatte. Auf den ersten Blick waren die Zahlen „gar nicht so schlecht“: Das Verunglücktenrisiko im Landesdurchschnitt, dazu vier Prozent weniger Motorradunfälle als im Jahr zuvor – also alles im grünen Bereich? Nur auf den ersten Blick. Der zweite Blick machte das Problem deutlich: „Allein sechs der 13 getöteten Verkehrsteilnehmer im Bereich des Polizeipräsidiums Reck¬ling¬hausen im Jahr 2015 gehörten zum Kreis der motorisierten Zweiradfahrer. Eine Entwicklung, die uns Sorgen bereitete“, so Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen.
Weiterhin kam die Frage auf, ob die bisherigen Botschaften und Konzepte ausreichten, um die Biker wirklich zu erreichen? „Meine Verkehrssicherheitsexperten haben dann darüber diskutiert, wie wir die Motorradfahrer besser erreichen, wie wir sie „mitnehmen“ können. Auf diesem Wege ist die Idee entstanden, das „Mitnehmen“ wörtlich zu nehmen und mit den Bikern auf Tour – auf PoliTour zugehen“, erläutert Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen.
Was folgte, war eine monatelange Planungsphase innerhalb der Behörde und darüber hinaus: „Uns war schnell klar, dass wir dieses Projekt nicht werden alleine stemmen können.Von daher haben wir von Anfang an mit dem ADAC, dem IfZ (Institut für Zweiradsicherheit), dem DRK, der Verkehrswacht und dem Kreis Recklinghausen externe Partner mit einbezogen. Hinzu kamen mit dem „Drügen Pütt“ und „Mutter Vogel“ zwei unserer örtlichen Motorradtreffs“, so Dietmar Laschinski, Leiter des Kommissariats für Verkehrsunfallprävention und Opferschutz
Der Startschuss zur ersten „PoliTour“, folgte am 22. Mai. Kurz nach 09:00 Uhr gingen die rund 120 Biker von sechs verschiedenen Startpunkten aus „auf Tour“. Angeführt wurden die Gruppen von uniformierten Guides auf ihren Polizeimotorrädern. „Von den Anmeldezahlen hätten es auch mehr als das Doppelte sein können“, so Organisator Udo Grimmelt (VOP/O). „Die Touren waren innerhalb von drei Tagen ausgebucht.“
Gestartet wurde von sechs verschiedenen Startpunkten aus, quer über die Behörde verteilt. Eine dieser sechs war die Gruppe „Recklinghausen“. Ihr Treffpunkt: die Polizeiunterkunft am Beisinger Weg. Nach einer kurzen Begrüßung und Einweisung in die Gruppenregeln ging es los: Helmabnehmen, Training der stabilen Seitenlage. Experten aus der Notfallmedizin und des IfZ referieren über typische Motoradverletzungen und moderne Schutzkleidung. Als Teilnehmerin mit dabei: Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen. „Ich fahre zwar selbst kein Motorrad, als Sozia wollte ich es mir dennoch nicht nehmen lassen, Sie heute hier bei der PoliTour zu begleiten“, so die Behördenleiterin.
Bei dem anschließenden Geschicklichkeitsparcours der Verkehrswacht Recklinghausen werden die Teilnehmer wieder selbst aktiv. Erste Grenzen werden deutlich. Schnellfahren kann jeder, das Fahren bei geringer Geschwindigkeit will trainiert sein. „Der Praxisanteil war uns sehr wichtig. Unsere PoliTour sollte keine reine Informationsveranstaltung werden. Von der Tatsache, dass die Teilnehmer immer wieder selbst aktiv werden und Dinge erleben, erhoffen wir uns eine größere Nachhaltigkeit“, so Dietmar Laschinski.
Die erste Ausfahrt führt die Teilnehmer zum Bikertreff „Mutter Vogel“ nach Marl. Es folgt die die „kleine Schleife“ zum „Drügen Pütt“ nach Haltern am See. Darstellung der Hauptunfallursachen und Lasermessungen stehen auf dem Programm; Gelegenheit zur Stärkung gibt es natürlich auch. Weiterer wichtiger Punkt für die Biker: das Fachsimpeln und der Meinungsaustausch mit ihren „uniformierten Kollegen“. Getreu dem Motto: „Motorradfahrer der Polizei sind Biker!“
Nach einem Abstecher über die „Borkenberge“ nehmen die Teilnehmer einen Motorradunfall in Oer-Erkenschwick unter die Lupe. An der Unfallstelle erläutert Guide Michael Imkamp den tödlichen Bikerunfall mit einem Traktor, die Stimmung ist gedrückt: „Der Motorradfahrer hatte hier kaum eine Chance, der Traktorfahrer hat ihn einfach übersehen. Vorrang allein hilft nicht. Wir müssen als Biker mit dem möglichen Fehlverhalten der Anderen rechnen“, so der Tenor.
Mit diesen Eindrücken fährt die Gruppe zum Gelände des ADAC nach Recklinghausen. Hier findet gegen 16:00 Uhr das große Abschlusstreffen statt, alle sechs Gruppen mit rund 120 Bikern sind nun vor Ort. „Ich freue mich, Sie hier am Ende unserer PoliTour begrüßen zu dürfen. Der Blick in zufriedene Gesichter zeigt mir, Sie hatten ebenso viel Spaß wie ich“. Mit diesen Worten eröffnet Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen den letzten Programmpunkt des Tages. Instruktoren des ADAC zeigen, wie Jeans nach einem Sturz aussehen und Bremswege mit Tempo und wechselnden Untergründen wachsen. Das genau mit Ende der Vorführung der lange angekündigte Regen fällt, stört nicht wirklich. Die Biker sind wetterfest und die Grillwurst schmeckt auch unter dem Unterstand. Neben einer Teilnehmerurkunde und kleinem Erinnerungsfoto nehmen die Teilnehmer offensichtlich viel Positives mit. „Ich fahre schon so lange Motorrad und habe heute immer noch etwas dazugelernt“, so ein Teilnehmer zum Abschluss der Veranstaltung.
Auch Dietmar Laschinski zeigte sich im Nachgang zufrieden: „Die vielen positiven Rückmeldungen der Teilnehmer, aber auch unserer Kooperationspartner bestärken uns bei dem Gedanken, dieses Projekt weiter zu entwickeln. Die Warteliste für die nächste „PoliTour“ ist schon gefüllt….